Für das Karolinska Institutet baute Gert Wingårdh, einer der bekanntesten Architekten Schwedens, eine Aula, die urbane Mitte sein soll und gleichzeitig selbstbewusstes architektonisches Statement einer Universität ist, die 40 Prozent der schwedischen medizinischen Forschung an Hochschulen und Universitäten vereinigt und als eine der besten medizinischen Forschungseinrichtungen der Welt gilt.
Alles was der Forschungseinrichtung Karolinska Institutet bei Stockholm, einer von Europas angesehensten medizinischen Universitäten, noch fehlte war ein Auditorium. Anfang des neuen Jahrtausends machte eine Spende es möglich, den in den 1940er Jahren erbauten Campus um eine Aula zu erweitern. Es sollte aber noch bis ins Jahr 2013 dauern, bis das Gebäude letztlich eröffnet werden konnte. Die Bedeutung des Auditoriums einer Universität geht weit über die Aufgabe eines reines Hörsaales hinaus. Die Wurzeln dieses Raumen gründen in der Tradition kirchlicher Räume und verbinden diese mit den Funktionen des klassischen Theaters.
Der international bekannte schwedische Architekt Gert Wingårdh versteht diesen Ort neben seiner normalen Nutzung als Hörsaal auch als feierlich und rituell genutzten Raum einer wissenschaftlichen Gesellschaft. Die Universität, erläutert der Planer, wollte zwar in erster Linie ein Auditorium für 1000 Personen, aber auch zeitgleich ein Gebäude, das die akademische Bedeutung dieser Institution manifestiert.
Natürliches Licht im Innenraum und ein geringer Energieverbrauch waren die wichtigsten Kriterien bei der Planung einer Aula, deren gestalterischer Schwerpunkt die visuelle Kraft der geneigten Fassade ist. Im Innenraum trägt eine auffällige Rahmenkonstruktion aus Holz die Fensteröffnungen aus dreieckigen Scheiben und nimmt der Fassade ihre geometrische Strenge, ohne das beeindruckende Lichtspiel der Gläser zu behindern, das tief in den Raum hinein wirkt. Die Art, wie die Sonneneinstrahlung verschiedene Tönungen erzeugt und ins Innere und nach außen reflektiert war für Wingårdh „eine ewige Quelle an Überraschungen“.
Während die in Teilen abenteuerlich geneigte Fassade das Gebäude als starke Landmarke innerhalb des Campus erscheinen lässt und trotz des die Nachbarschaft überragenden Gebäudevolumens viel für eine maßstabgerechte Urbanität des Ortes leistet, wird der Gebäudekern doch uneingeschränkt vom Volumen der Aula dominiert.
Ein großes Auditorium in dem Vorträge mit Lichtbildern und Veranstaltungen stattfinden, braucht gute Sichtverhältnisse und eine herausragende Akustik, die auf jedem Sitz wirksam ist. Die auf die Bühne zentrierte Sitzordnung ist für solche Räume die beste Lösung, meint Wingårdh, aber der Architekt wollte mehr: Für das Karolinska Institutet suchte er nach einer räumlichen Gleichsetzung der Nutzer. Vortragende und Zuhörer sollen sich auf gleicher, „wissenschaftlicher“ Ebene begegnen können, so umschreiben der Planer sein Verständnis einer akademischen Gesellschaft. Deswegen sind die Eingänge des zentralen Hörsaals auf demselben Höhenniveau wie die Bühne.
Alfred Nobel bestimmte testamentarisch, dass das Karolinische Institut die Preisträger des nach ihm benannten Nobelpreises für Physiologie oder Medizin ernennen soll. Gemessen an dieser Bedeutung ist der Innenraum mit seiner „nordischen“ Atmosphäre aus geweißten Tannenhölzern hell und mit einer fast sakralen Grundstimmung versehen. Die Aula bietet gleichwertige Sitzplätze, ist jedoch in der Sitzanordnung flexibel und universell. Die optimale Lösung kann laut einem Postulat des Architekten niemals statisch sein. Die Stühle wurden von Adept Collection und Kinnarps in Zusammenarbeit mit Wingårdh entworfen. Auch alle Möbel und Ausstattungsgegenstände für die Bühne wurden vom Architekten selbst entwickelt.
Im Foyer sorgt die sehr auffällige Stuhlhockerbank von Kraud, einem Label der Designerinnen Fehling und Peiz für Aufsehen. Dazu wurden Dreieckssitze, die die Scheibenform der Fassade für den Innenraum modulieren, aufgestellt. Letztere sind, wie auch alle fest eingebauten Möbel, wieder Entwürfe von Gert Wingårdh. Die freistehenden Stühle namens Button stammen vom jungen schwedischen Möbelhaus Gärsnäs.
Gert Wingårdh ist ein Architekt, der eingefahrene Bahnen konsequent vermeidet und dadurch zu einem der spannendsten Kreativen der Gegenwart wurde. Sein Sujet umfasst nach eigener Aussage mehr als tausend Projekte. Diese Erfahrung manifestiert sich in einer genauen Sorgfalt im Umgang mit Materialen und einem Streben nach Maßstäblichkeit. Er findet gerne ungewöhnliche architektonische Antworten und Geometrien und vermeidet die ganz großen Gesten, die bei vielen bekannten Kollegen zum Selbstzweck geworden scheint.
Autor: Rolf Mauer