Architekturartikel: Kirchenbau – Orte die zum Bleiben verführen

17. August 2015

Architekturjournalist Architekturartikel

Unsere Kirchen und ihre Ausstattung an religiöser Kunst stellen ein bedeutendes kulturhistorisches Erbe unserer Zivilisation dar. In allen Zeiten war sich die Kirche, auch während den größten gesellschaftlichen Veränderungen, ihrer Verantwortung als Bauherr öffentlicher Gebäude bewusst und nahm diese Aufgabe mit großer Sensibilität und Erfahrung wahr. Der zeitgenössische Kirchenbau und die moderne sakrale Architektur sind für unsere Gesellschaft  identitätsstiftend.

Kirchliches bauen ist nicht nur seit ewigen Zeiten ein nachhaltiges bauen, weil mit Qualität und guter Materialwahl kulturelle geistliche Zentren entstehen, die über viele Generationen den Menschen und dem Glauben eine Heimat bieten. Die Kirche baut nachhaltig, weil sie zeitlos und mutig baut. Seit 1945 wurden in Deutschland mehr Kirchen gebaut, als in vierhundert Jahren davor. Die von den evangelischen Landeskirchen auf der Kirchbaukonferenz im Jahre 1861 erhobenen Forderungen, dass sich der Kirchenbau an einen der geschichtlich entwickelten Baustile anzuschließen habe („Eisenacher Regulativ“) wurde Geschichte. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts war es vorbei mit der Epoche nachempfundener gotischer Fassaden und ein avantgarde-freudiges Mäzenatentum begann.

Die Kirche zeigte sich als Bauherr neuen Formen gegenüber aufgeschlossen und ein entschlossenes Bekenntnis zu moderner Architektur. Auch wenn die liturgischen Regeln im Wesentlichen einen tradierten Gebäudetypus verlangen, blieb in jüngerer Zeit viel Platz für die kreative Freiheit der Architekten. So entstanden Bauten, die bei aller notwendigen historischen Form des Baukörpers doch auch Avantgarde in Gestalt und Materialwahl waren, wie zum Beispiel die 1928 in Köln gezeigte doppeltürmige Stahlkirche von Otto Bartning. Vis à vis zum Kölner Dom diente sie als architektonisches Statement und Ausstellungspavillon der Evangelischen Kirche. Kreative Toleranz im Kirchenbau war auch Voraussetzung für die 1989 erbaute Kapelle des Heiligen Benedikt vom Schweizer Architekten Peter Zumthor, die im schweizerischen Kanton Graubünden steht und in ihrer Materialwahl althergebrachte mitteleuropäische Vorstellungen ignoriert: Die Kapelle ist vollständig aus Holz gebaut. Peter Zumthor, einer der wichtigsten Baumeister, erhielt 2009 mit dem Pritzker-Preis den bedeutendsten Architekturpreis unserer Tage.

Architekturjournalist Kulturartikel
Foto: Architekturjournalist Rolf Mauer

In unserer gegenwärtigen Zeit, die von einem stetigen Rückgang der Kirchgänger geprägt ist, bleiben sakrale Bauten wichtig und wir müssen konsequent in deren Erhalt investieren. Die Zeitläufte haben immer Momente gekannt, während deren es die Kirchen und der Glaube schwerer hatten. Dies darf nicht dazu verführen, die sakrale Präsenz im öffentlichen Raum zu hinterfragen oder zu reduzieren. Gotteshäuser sind wirtschaftlich nicht rentabel, dies darf aber nicht dazu verführen, an ihrer Sinnhaftigkeit zu zweifeln. Wenn man Bauten für den langfristigen Gebrauch über Generationen hinweg denkt, plant und entwickelt, dann muss man Werte schaffen die auf Dauer bestehen. Die Kirche ist die einzige öffentliche Institution, die über die notwendige Erfahrung einer generationen- und länderübergreifenden kulturellen Identität verfügt und zuverlässig in der Gesellschaft verankert ist.

Auch wenn der Kirchenbau eine recht aufwändige Verpflichtung gegenüber den Menschen ist, so wird die Kirche doch auch immer der Ort sein, an dem sich Orientierung finden lässt. Sinnbild für diese Orientierung ist nicht mehr nur der weithin sichtbare Kirchturm, sondern die kulturelle Einzigartigkeit und Qualität eines sakralen Bauwerks. Der Architektur kommt dabei die Aufgabe zu, in Form und Material Zeugnis zu geben von der Nähe der Kirche zum Menschen. Eine zeitgenössische und moderne sakrale Architektur zeigt der Gesellschaft, dass der praktizierte Glaube nicht im Gestern verharrt, sondern zum Wandel bereit ist und die Gläubigen zu einem gemeinsamen Weg einlädt. Die Hauptaufgabe des Architekten bleibt auch in Zukunft, bei aller formalen Freiheit in der Gestaltung, der Transzendenzerfahrung der Gläubigen einen Raum zu geben.

Nachhaltigkeit in der Architektur lässt sich nicht auf die Materialwahl begrenzen. Das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit muss in erster Linie ein Bekenntnis zur architektonischen Qualität sein. Bauwerke wie die 1959 fertig gestellte evangelische Christuskirche in Bochum von Dieter Oesterlen sind beredtes Zeugnis wie konsequent die Kirche kultureller Mittelpunkt unserer Gesellschaft sein kann. Die Christuskirche ist einer der bedeutendsten Sakralbauten Europas und als Kirche der Kulturen Bühne für Kunst, Kultur und Politik. Sie ist Sinnbild für einen nachhaltig gedachten Ort, der zum Bleiben verführt.

Artikel für eine kirchliche Stiftung – Autor: Rolf Mauer – Architekt, Stadtplaner, Journalist

Leave a comment

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert