Energeticon Alsdorf

8. Januar 2018

Für die ehemals größte Kokerei Westeuropas entwarf Atelier Brückner mit dem Energeticon Alsdorf eine interaktive Dauerausstellung über das fossile und das regenerative Zeitalter. Mitten in der Stadt gelegen, bietet das stillgelegte Steinkohlebergwerk Anna den historischen Rahmen für ein taktiles Erlebnis der besonderen Art.

Was ist eigentlich Energie? Wie erlebt der Mensch Energie? Wie lässt sie sich erklären? Wie kann man eine physikalische Größe, die zwar allgegenwärtig ist, aber nicht erfassbar im wörtlichen Sinn, also nicht greifbar ist, Menschen jeden Alters nahebringen? Kann man Energie und ihre wechselhafte Intensität und Auswirkung mit den Mitteln der Ausstellungsarchitektur für die menschlichen Sinne kompatibel machen, auf die Ebene der Mechanik runterbrechen und taktil aufbereiten? Antworten auf diese Fragen geben die Planer und Architekten von Atelier Brückner aus Stuttgart mit ihrem szenografischen Entwurf für die Ausstellung im Energeticon in Alsdorf bei Aachen. In der ehemaligen Alsdorfer Grube Anna, nicht zu verwechseln mit der Zeche Anna in Essen, standen nach 150 Jahren Bergbau alle Förderanlagen still. Die im September letzten Jahres eröffnete Dauerausstellung, die sich über einen 700 m langen Parcours erstreckt, erläutert die Anfänge des industriellen Abbaus fossiler Energieträger bis hin zur aktuellen Energiewende. An etwa 30 Stationen stellt sie den Wechsel von der Ausbeutung fossiler Energieträger hin zu neuen, regenerativen Energiequellen dar.

Wie uns Eberhard Schlag, Partner im Atelier Brückner, erläutert, war es eine Herausforderung, die alte Schmiede und die ehemalige Kaue für eine Ausstellung zu ertüchtigen. Die Gebäude waren an vielen Stellen marode und wurden von Architekt Heinrich Böll saniert. Atelier Brückner hat im Energeticon nichts rückgebaut. Die bergmännische Anlage über Tage wurde in ihrer komplexen Historie weitgehend erhalten, mit allen Spuren.

Der Empfang des Energeticon Alsdorf ist in der ehemaligen Schmiede untergebracht. Eine große Sonneninstallation stimmt ein aufs Thema der Ausstellung ‚Von der Sonne zur Sonne‘: Eine Kugelkalotte, von einem Spiegelkranz umgeben, symbolisiert unser Zentralgestirn. Hinter der Kalotte stellen starke LED-Leuchtmittel, die Farbe und Intensität wechseln können, die pulsierende Korona nach.

Dazu gibt es eine Audioeinspielung. Aufzeichnungen der Sonnenstrahlung wurden als “Sonnengeräusch” in eine Klangatmosphäre eingebunden. Steht man direkt unter dieser Installation, schließt sich die Kugelkalotte über die optische Wirkung des Spiegelkranzes zu einer gigantischen solaren Illusion. Themenschwerpunkt an dieser Stelle sind die fossilen Energien. “Wir glauben”, so erklärt uns Eberhard Schlag den Entwurfsgrundsatz seines Büros, „dass der erste Raum einer Ausstellung eine große gestalterische Qualität haben muss, um den Besucher einzustimmen. Wir stellen das Thema ‚Energie‘ in einem kontemplativen Rahmen dar, der den Besucher konditioniert.” Mit einem “inszenierten” Aufzug fährt man anschließend in das in den 1960er-Jahren angelegte Lehrbergwerk. Auch wenn die tatsächliche Fahrt nur über eine Etage geht, erwächst der Eindruck, man bewege sich wirklich über eine längere Strecke direkt unter Tage. Die Räume des Lehrbergwerks wirken authentisch, dieser Ausstellungsteil ist “zum Anfassen” und vermittelt ein Gefühl für die Arbeit dort unten. Die Besucher können sich hier durchaus schmutzig machen. An wenigen Stellen wurden Informationen ergänzt, um mit Audioeinspielungen und visuellen Projektionen den historischen Ort zu erweitern. Nach dem “Stollen” verläuft der Weg über einen Schrägschacht und führt über das Außengelände zum zweiten Gebäude; dort taucht der Besucher wieder unter Tage ein, in die alte Kaue. Laut Eberhard Schlag bestand die Herausforderung darin, über drei Gebäude hinweg, über oberirdisch und unter Tage liegende Bereiche, einen inhaltlich wie räumlich-gestalterisch zusammenhängenden, schlüssigen Parcours zu entwickeln, der eine nachvollziehbare Geschichte erzählt und einer erkennbaren Dramaturgie folgt.

In der Kaue findet der erzählerische Wechsel von den fossilen Energieträgern hin zur regenerativen Energieerzeugung statt. Im Erdgeschoss hängen die für die Umkleide der Bergleute so typischen Körbe an der Decke, die alle noch erhalten waren und von Atelier Brückner modifiziert wurden. Der Besucher kann sie bewegen und hört dann Geschichten aus der bergmännischen Arbeitswelt.

Kontrastierend zur historischen Architektur des Energeticon Alsdorf präsentieren sich im Geschoss darüber die Themen unseres regenerativen Zeitalters. Hier schließt die Ausstellung. Interaktive Elemente vermitteln anschaulich unsere energetische Zukunft. Beispielsweise zeigt eine raumprägende Skulptur alternative Möglichkeiten der Energieversorgung.

Überhaupt vermitteln die Installationen den Besuchern sehr persönliche Einblicke, was Energie in der Praxis bedeutet. So lässt sich an einer Station durch das Anheben eines Gewichts über eine festgelegte Höhe und eine vorgegebene Zeiteinheit genau 1 PS erzeugen. Oder man kann herausfinden, welche Rotorblätter am meisten Energie erzeugen. Die Szenografen von Atelier Brückner schaffen es, eine abstrakte physikalische Größe anschaulich darzustellen: Hands-on!

Autor: Rolf Mauer

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